Das ideelle, genrespezifische Korpus ist als Umfangsbeschreibung der Normgrößen (z.B. in der Literatur, der Bildenden Kunst oder der Musik) eine definierte Einheit, die durch die Autorisierung von Personen(-gruppen) ihre Bezugsgrößen repliziert, verstetigt und auf Überlieferung veranlagt. Ursprünglich findet sich diese Verwendung des Wortes Kanon für die heiligen Schriften religiöser Gemeinschaften.

Über die querschnittshafte und begrenzte Sammlung von Produkten hinaus, die materiell verfügbar sind (als verfügbare schriftliche, dokumentierte Werke), ist ein Deutungskanon als Interpretationsgrundlage und Lesart für die Richtung des Blicks als Maßgabe definiert. Diese entsprechen sozialen Normen, Werten und Deutungsvorschlägen für den bereitgestellten Materialkorpus.

Der Kanon als Resultat eines kulturell geprägten Auswahlprozesses, an dem autorisierte Personen beteiligt sind, definiert also soziale und politische Grenzlinien eines Korpus, der sich als sedimenthafter Bodensatz ablagert und zur Grundlage alles Weiterwachsenden wird. Als Bezugsgröße und Raumgrenze ist das Kanonische das zeitlich gewachsene Konstrukt einer Richtschnur, die uns ein Bezugsrahmen ist, wenn wir uns innerhalb unseres Systems bewegen. Erst ein Kanon als definierte Maßgabe einer Grundlage und ihrer Deutungsradien ermöglicht die Fest-Stellung eines Wissens, die Überprüfung des Erlernten und die Anwendung von Regularien. Identitätsstiftende Normen und Werte produzieren damit in radialer Formung ihre Selbstlegitimität und Abgrenzung.

peripherie zeigt künstlerische Positionen zu den Fragen der Rahmenbedingungen ihrer eigenen Arbeit im Feld künstlerischer Praxis. Die netzartige Verwobenheit von Erfahrungswissen, das durch Verbindungslinien und wiederkehrende Element Orientierung schafft und Selbstverortung befragt, kann womöglich eine lebendig sich wandelnde und windende stetige Neuformation einer Diskursgrundlage werden, die den Dialog mit strukturell Verantwortlichen anfragt.

peripherie will schambehaftete Themen als praktische Notwendigkeiten selbständig tätiger Künstler*innen sichtbar machen und sich gegenseitig zu ermächtigen, indem Erfahrungen und vermeintliche mitteilbar werden - als ästhetische Arbeitspraxis, die ihren lebendigen corpus kenntlich macht und die Bedingungen für ebenso veränderlich hält.

Literaturempfehlung: Corpus von Jean-Luc Nancy